Dissertationsvorhaben der 2. Kollegiatenstaffel         Dissertationsvorhaben der 1. Kollegiatenstaffel    
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Entwicklung eines Inbetriebnahme-Assistenten für die einfache und schnelle Programmierung von Industrierobotern
Performance Management im Produktionsanlauf
Reaktives Qualitätsmanagement
Agiles Vorgehensmodell zum Management komplexer Produktionsanläufe in Unternehmen mit mittelständischen Strukturen
Anlauforientierte Technologieplanung zur Auswahl von Fertigungstechnologien
Diskrete Migration als Anlaufstrategie für Montagesysteme
Supply-Chain Optimierung für das Anlaufmanagement
Nutzenbewertung logistischer Reaktionsfähigkeit im Serienanlauf
Wertorientierte Fabrikplanung
Synchronisations- mechanismen für die Fabrikplanung
Complementarities and Contingencies of Organizational Responses to Product Change
Qualitätsorientiertes Management von Serienanläufen - Konzeption eines Gestaltungsmodells
Diskrete Migration als Anlaufstrategie für Montagesysteme
Thomas Gartzen

Ausgangssituation und Herausforderung
Der Produktionsanlauf stellt für produzierende Unternehmen im Seriengeschäft eine Schlüsselstelle im Lebenszyklus eines Produktionssystems dar, da in dieser Phase ein vormals im Planungsstadium befindliches Produktionskonzept in den Serienbetrieb überführt wird.
Aus volks- und betriebswirtschaftlicher Sicht ist der Produktionsanlauf von solch entscheidender Bedeutung, da Gewinne, die durch eine verspätete Markteinführung der Produkte im Anlauf entgangene sind, aufgrund sinkender Lebenszyklen nicht mehr aufgeholt werden können. Produktrenditen werden zunehmend in den frühen Phasen der Markteinführung geprägt, eine Phase in der die Kunden zudem wesentlich preisbereiter auf die Dynamik des Marktes reagieren. Die Beherrschung des Anlaufes avanciert somit zu einem wesentlichen Erfolgsfaktor deutscher Serienhersteller.
Der hier verwendete Begriff des Produktionsanlaufs wird in der Arbeit als Synonym für den Anlauf eines gesamten Produktionssystems zur Produktion von Serienprodukten gelten. Dies schließt neben der Produktentwicklung insbesondere die Entwicklung und Inbetriebnahme der Produktionsprozesse und -anlagen ein.
Die Anlaufphase beginnt mit der Freigabe der Vorserie und endet mit Erreichung der Anforderungen des Serienbetriebs. Die Phase der Inbetriebnahme und der Anpassung des Systems stellt dabei ein wichtiges Bindeglied zwischen der Entwicklung und der Hochlaufphase dar. Maschinen und Anlagen liefern in Produktionsanläufen selten von Anfang an die geplante, notwendige Leistungs- und Qualitätsfähigkeit sowie Verfügbarkeit. Sie durchlaufen während des Produktionsanlaufs von der Inbetriebnahme, über die Vorserie und Nullserie bis hin zum Hochlauf kontinuierlich einen Verbesserungsprozess und müssen in einen Zustand überführt werden, der das Herstellen des Produkts mit den Zielgrößen der Produktion gewährleistet. Die notwendige dauerhafte Weiterentwicklung von Maschinen und Anlagen während eines Produktionsanlaufs kann somit als Migrationsprozess dieses Produktionssystems verstanden werden. Entsprechend umfasst das Anlaufmanagement alle Tätigkeiten und Maßnahmen zur Planung, Steuerung und Durchführung dieser Migration.
In diesem Zusammenhang stellt die größte Herausforderung für das Anlaufmanagement die Beherrschung der anlaufspezifischen Komplexität dar. Das anlaufende Produktionssystem wird zu diesem Zweck als soziotechnisches System verstanden, welches durch technische und soziale Subsysteme, die mit einander interagieren, bestimmt ist. Im Produktionsanlauf werden diese unterschiedlichen Elemente des geplanten Produktionssystems erstmalig zueinander in Beziehung gesetzt. Gestaltungselemente, die zuvor mehr oder weniger getrennt voneinander entwickelt und geplant wurden, treffen im Produktionsanlauf physisch zum ersten Mal aufeinander. Systemtheoretisch gesehen ist es daher möglich, das Produktionssystem im Anlauf über die drei Beschreibungsdimensionen Vielfalt, Konnektivität und Dynamik als ein komplexes System zu charakterisieren. Komplexe Systeme neigen prinzipiell zu Instabilität. Dieses Systemverhalten wird auch in der industriellen Praxis festgestellt, wenn neu entwickelte Produktionssysteme in Betrieb genommen und auf Serienstückzahl hochgefahren werden. Charakteristisch für diese Phase ist die Unvorhersagbarkeit der Arbeitsergebnisse, was sich in plötzlich auftretenden Störungen im Betrieb äußert. Das System verliert an Ordnung und wird instabil. Die Leistung der Produktion ist nicht mehr prognostizierbar und Kosten- Zeit- und Qualitätsziele werden nicht erreicht. Der Erfolg des Anlaufs hängt somit von einem effektiven Management der Instabilität ab.

Forschungsfrage und Zielsetzung
Da die Ursache eines instabilen Systemvehaltens in der Komplexität des Systems begründet ist, sieht sich der Entscheider mit folgender zentraler Frage konfrontiert:
Wie lässt sich die Komplexität im Anlauf reduzieren und welcher Gestalt ist eine komplexitätsgerechte Migration, um die Phasen der Instabilität im Anlauf zu minimieren?
Zur Lösung dieser Fragestellung wird in der Dissertation eine Methodik entwickelt, deren Ziel darin besteht, sowohl die Zusammenhänge zwischen der Komplexität eines Produktionssystems und seiner Neigung zum instabilen Verhalten während des Anlaufs als auch die Beeinflussbarkeit des Systemverhaltens durch eine systematische Migration zu erklären. Unternehmen soll dadurch eine Hilfestellung gegeben werden, den Anlauf neuer Produktionssysteme zukünftig effizient und effektiv durchzuführen.

wissenschaftliches Vorgehen
Der gewählte Forschungsansatz im Graduiertenkolleg orientiert sich an der Forschungsmethodologie der explorativen Forschung. Da die interdisziplinäre Zusammensetzung des Graduiertenkollegs jedoch unterschiedliche Forschungsdomänen miteinander vereint, wurde zur Operationalisierung dieser Forschungsmethodologie eine gemeinsame Forschungsmethodik erarbeitet, die für die unterschiedlichen Disziplinen eine wissenschaftliche Allgemeingültigkeit besitzt. Das Vorgehen der wissenschaftlichen Forschung im Graduiertenkolleg und somit auch in dieser Arbeit orientiert sich an der Methodik der Design Science Research Methodology, kurz DSRM. Diese Methodik wurde von Peffers auf Basis von bereits bestehenden Forschungsrichtlinien verschiedener Autoren entwickelt und stellt ein allgemein anerkanntes Vorgehensmuster sowie einen Leitfaden zur Anfertigung wissenschaftlicher Arbeiten dar.
Die DSRM gliedert sich grundsätzlich in sechs Schritte, die iterativen durchlaufen werden können. Somit gibt die DSRM nicht nur den iterativen Lernprozess im Graduiertenkolleg zur Erweiterung und Ausarbeitung des heuristischen Bezugsrahmens in geeigneter Weise wider, sondern liefert ebenso eine Struktur für den Aufbau den Dissertation.

Lösungshypothese
Die Ausgangshypothese der Methodik beruht auf der Erkenntnis, dass die anlaufende Produktion als ein komplexes, soziotechnisches System beschrieben werden kann, das während der Anlaufphase ausgehend von einem Planungszustand in einen Serienbetrieb migriert und dabei ein instabiles Systemverhalten aufweist . Die zentrale Aufgabe des Anlaufmanagements besteht folglich darin, das System möglichst schnell in einen stabilen und beherrschbaren Zustand zu überführen und die Phasen der Instabilität zu minimieren. Die zentrale Hypothese dieser Arbeit geht dabei von einer direkten Abhängigkeit zwischen Systemkomplexität und Systemstabilität aus und kann wie folgt formuliert werden:
Durch eine gestufte Migration des Produktionssystems während des Anlaufs kann die Systemkomplexität systematisch reduziert bzw. gezielt erhöht werden, was eine sichere Stabilisierung der einzelnen Migrationsstufen und somit in Summe einen stabilen Anlauf ermöglicht.
Wesentlich für die Lösungshypothese der Methodik ist der Ansatz, die Komplexität des Produktionssystems zu beschreiben und systematisch zu reduzieren. Denn erst die anforderungsgerechte Reduzierung der Komplexität des im Anlauf befindlichen Produktionssystems ermöglicht die Herstellung eines stabilen Zustands.

Teilmodelle und Methodik
Wie oben erläutert liegt das Ziel der Arbeit in der Entwicklung eines Entscheidungsmodells für die diskrete Migration als Anlaufstrategie für neue Produktionssysteme. Der Anlauf soll zu diesem Zweck auf Basis eines Beschreibungs- und Erklärungsmodells als ein System aus stabilen und instabilen Zuständen verstanden werden können. Weiterhin werden die Wirkmechanismen bei der gestuften Einführung eines Produktionssystems erklärt, mit denen Stabilität im Anlauf erzeugt werden kann. Das Entscheidungsmodell dient dem Entscheider letztendlich als Ansatz zur Beurteilung unter welchen Umständen die Anlaufeffektivität mit Hilfe einer diskreten Migration zu steigern ist.
Die Anlaufstrategie der diskreten Migration von Produktionssystemen wird über eine Methodik operationalisiert, die sich aus fünf separat entwickelten Teilmodellen zusammensetzt.

Komplexitätsmodell (Beschreibungsmodell)
Das Komplexitätsmodell dient als Beschreibungsmodell für die Komplexität des anlaufenden Produktionssystems und bildet gleichzeitig den Ausgangspunkt für die Entwicklung der Anlaufstrategie. In Anlehnung an die Theorie komplexer Systeme wird im Komplexitätsmodell unterschieden zwischen struktureller und funktionaler Komplexität. Dementsprechend bildet das Komplexitätsmodell zwei Teilmodelle die jeweils drei Kategorisierungsebenen aufweisen.
Die strukturelle Komplexität beschreibt die Strukturdimension und stellt eine objektive Eigenschaft von Systemen dar. Sie stellt die potenzielle Variationsfähigkeit eines Systems dar, indem Reaktionsmöglichkeiten auf die Umweltvarietät in Form von Systemstrukturen bereitgehalten werden. Modelliert wird die strukturelle Komplexität auf der untersten Modellebene durch 26 Komplexitätstreiber, also Einflussgrößen auf den Anlauf, die zu einer erhöhten Anzahl an möglichen Systemzuständen bzw. einer erhöhten Varietät führen.
Hingegen beschreibt die funktionale Komplexität die Verhaltensdimension des Umgangs der Systemakteure mit der Komplexität eines Systems. Sie fokussiert daher eine subjektive Perspektive. Funktionale Komplexität ermöglicht die situative Variationsfähigkeit eines Systems durch die Selektion einer angemessenen Antwort auf die aktuelle Umweltkomplexität. Sie charakterisiert folglich die Fähigkeit der Systemakteure zur Komplexitätsbeherrschung bzw. zum erfolgreichen Umgang mit der strukturellen Komplexität eines Systems. Die funktionale Komplexität wird im Modell auf der untersten Ebene über elf Komplexitätsbefähiger beschrieben, also die Fähigkeit eines Unternehmens, die zahlreichen, durch die strukturelle Komplexität repräsentierten, Systemzustände situationsspezifisch zu kontrollieren bzw. herbeizuführen. Zur Anwendung dieses Modells wurde ein Komplexitäts- und Fähigkeitsprofil entwickelt, das die Komplexität eines anlaufenden Montagesystems ebenso wiedergibt wie die Fähigkeit des Unternehmens die Komplexität zu beherrschen.

Instabilitätsmodell (Beschreibungsmodell)
Instabilität wird in den verschiedenen Forschungsbereichen weitgehend konsistent als die Unvorhersehbarkeit und Unkontrollierbarkeit eines Systems beschrieben. Ungewollte und sprunghafte Zustandsänderungen machen das System zeitvariant und dessen Entwicklung ist somit nicht planbar. Die Streuung der relevanten Systemparameter liegt bei Instabilität oberhalb einer tolerierbaren Grenze, so dass geplante Leistungswerte nicht erreicht werden können. Im Produktionsanlauf äußern sich diese Instabilitäten in Effektivitätsverlusten des Produktionssystems. So können beispielsweise ursprünglich geplante Stückzahlen und Qualitätsspezifikation nicht mehr eingehalten werden und die Leistungsfähigkeit des Systems wird aufgrund dieser stochastischen Verluste unvorhersehbar.
Zur Beschreibung und Messung des instabilen Verhaltens eines Produktionssystems wird auf das etablierte Kennzahlensystem der Gesamtanlageneffektivität (Overall Equipment Effectiveness, OEE) zurückgegriffen. In diesem Kennzahlensystem werden unvorhersehbare Verluste aus Anlagensicht definiert und in „Six Big Losses“ kategorisiert. In Anlehnung an die OEE umfasst das Instabilitätsmodell ebenso wie das Komplexitätsmodell drei Strukturierungsebenen und es werden insgesamt 18 Verlusttypen auf der untersten Ebene definiert, um die Instabilität des Produktionssystems im Anlauf zu beschreiben.

Antizipationsmodell (Erklärungsmodell)
Als Erklärungsmodell für die systemspezifische Instabilität während des Anlaufs dient das Antizipationsmodell, das als Synthese aus dem Komplexitäts- und Instabilitätsmodell entwickelt wird. Zweck des Antizipationsmodells ist die Darstellung der Wirkzusammenhänge zwischen Komplexitätstreibern bzw. -befähigern und den unvorhersehbaren Verlustgrößen während des Anlaufs. Basierend auf einer Vorstudie, die im Graduiertenkolleg durchgeführt wurde, wurden 16 Hypothesen zu den Wirkzusammenhängen zwischen der Komplexität des Produktionssystems und seiner Neigung zur Instabilität im Anlauf aufgestellt. Um zu überprüfen, ob die zuvor aufgestellten Wirkzusammenhänge einer empirischen Untersuchung standhalten, wurde in den Jahren 2010 und 2011 eine Studie durchgeführt, in deren Rahmen 16 Anlaufverantwortliche, also Produktionsleiter und Anlaufmanager, befragt wurden. Beteiligt waren ausschließlich Unternehmen in Deutschland und im deutschsprachigen Ausland, deren Branchenzugehörigkeit von der Automobil- und Elektronikindustrie, über den Messgeräte- und Anlagenbau bis hin zur Produktion von Haushaltsgeräten reicht.
Ergebnis der Untersuchung ist eine Zuordnung von Komplexitätstreibern zu den Verlustgrößen der OEE, die direkt an die Zielgrößen Qualität, Verfügbarkeit und Leistung gekoppelt sind. Da der Anlauf ein zeitlich abgegrenztes Projekt darstellt, ist die Feststellung, dass das Serien-Zielsystem zur Beschreibung der Gesamtanlageneffektivität sich im Anlauf dynamisch entwickelt, von zentraler Bedeutung. Denn genau diese unterschiedliche Gewichtung und Prioritätsverschiebung der einzelnen Zielgrößen über die Anlaufdauer hinweg, erlaubt eine zeitliche Zuordnung der Komplexitätstreiber zu den Phasen des Produktionsanlaufs. Somit ermöglicht das entwickelte Antizipationsmodell in der Anlaufplanung eine Vorwegnahme, in welcher Anlaufphase welche Komplexitätstreiber zu maßgeblichen Verlusten führen. Damit können diejenigen Komplexitätstreiber identifiziert werden, die einer vorrangigen Beachtung in den jeweiligen Phasen bedürfen, um unvorhersehbare Verluste und folglich die Instabilität im Anlauf zu minimieren.

Reduktionsmodell (Entscheidungsmodell)
Auf Basis der Erklärung der systemspezifischen Instabilität stellt das Reduktionsmodell ein Entscheidungsmodell für den Anlaufverantwortlichen dar, mit dessen Hilfe eine komplexitätsreduzierte, d. h. komplexitätsgerechte Ausgangsbasis für die Migration des Produktionssystems im Anlauf geschaffen wird. Zu diesem Zweck unterstützt das Reduktionsmodell den Anwender systematisch, Defizite zwischen der Komplexität im Anlauf und der Fähigkeit des Unternehmens, mit Komplexität umzugehen, aufzudecken. Unter Anwendung des entwickelten Modells kann bereits vor Beginn des Anlaufs durch die Auswahl und Anwendung von passenden Anlaufmaßnahmen diesen Defiziten entgegengetreten werden und die Migration, also der geplante Prozess vom Zustand vor Beginn des Anlaufs bis zur Serienproduktion, derart gestalten werden, dass die aufgedeckten Defizite umgangen werden.
Als Hilfsmittel dient hier insbesondere eine inhaltliche Gegenüberstellung, die erklärt, welche Komplexitätsbefähiger dem Unternehmen generell ermöglichen, mit kritischen Komplexitätstreibern umzugehen. Zudem zeigen die Kritizität der Komplexitätstreiber und die Intensität der Komplexitätsbefähiger, die den Komplexitäts- und Fähigkeitsprofil entnommen werden können, wie ausgeprägt diese Einflussgrößen bei dem vorliegenden Anlauf sind. Zuletzt fließen in die Heuristik der Komplexitätsreduktion eine Bewertung von Anlaufmaßnahmen ein, aus denen hervorgeht, welche Maßnahmen dazu geeignet sind, entweder die strukturelle Komplexität von kritischen Komplexitätstreibern zumindest temporär zu reduzieren oder die funktionalen Komplexität von schwach intensiven Komplexitätsbefähigern zu erhöhen.
Ergebnis der Komplexitätsreduktion ist eine Zusammenstellung von Anlaufmaßnahmen. Jede dieser Maßnahmen geht aus dem Abgleich eines spezifischen Komplexitätstreibers, der einer Phase im Anlauf zugeordnet wird, und seiner inhaltlich kompatiblen Komplexitätsbefähiger hervor. Somit entstehen Maßnahmen-Pools für einen komplexitätsgerechten Produktionsanlauf, die in zeitlich unterschiedlichen Phasen wirksam sind.

Migrationsmodell (Entscheidungsmodell)
Zur Gestaltung der Migrationsstufen eines Produktionssystems dient als weiteres Entscheidungsmodell das Migrationsmodell, mit dessen Hilfe der Migrationspfad für einen stabilen Anlauf festgelegt wird. Der Migrationspfad gibt die geplanten „Stufen“, also diskrete Veränderungen des Montagesystemzustands über den Anlauf hinweg, an und nimmt seinen Anfang mit der Migrationsbasis. Diese stellt den Zustand des Montagesystems zu Beginn des Anlaufs dar und enthält die Anlaufmaßnahmen, welche größtenteils temporärer Natur sind. Durch die Rücknahme von temporären Anlaufmaßnahmen wie z. B. Anlauflagern, zusätzlichen Puffern im Prozessablauf oder erfahrenen Springer-Teams, wird der Montagesystemzustand in diskreten Schritten auf das Komplexitätsniveau der Serienproduktion gebracht.
Dabei stellt sich die Frage, in welcher Reihenfolge die temporären Anlaufmaßnahmen zu entfernen sind. Grundsätzlich orientiert sich das Migrationsmodell dabei an dem Zielsystem Qualität, Verfügbarkeit und Leistung, dessen Zielgrößen über die Zeitspanne des Anlaufs hinweg unterschiedlich stark priorisiert werden und somit eine zeitliche Reihenfolge vorgeben.
Einen wesentlichen Bestandteil des Migrationsmodells bildet ein Kennzahlensystem zur Steuerung der Migrationsstufenbildung. Der Steuerung obliegt es, sicherzustellen, dass Anlaufmaßnahmen schnell genug zurückgefahren werden, um die Anlaufdauer kurz zu halten ohne jedoch die Stabilität des Systems zu gefährden. Die Entscheidung, wann das Produktionssystem in der aktuellen Stufe derart stabil ist, dass durch Rücknahme einer weiteren temporären Maßnahme eine neue Migrationsstufe erreicht werden kann, wird durch die Überwachung von Kennzahlen unterstützt. In Anlehnung an das OEE-Kennzahlensystem wurde für jede der drei Zielgrößen Qualität, Verfügbarkeit und Leistung ein Pool von Kennzahlen zur Stabilitätsüberwachung entwickelt.
Im Sinne eines Regelkreises überprüft der Entscheider, ob die Kennzahlen sich in einem annehmbaren Korridor befinden, also entweder nach Rücknahme einer Maßnahme keine Instabilität entstanden ist oder aber eine entstandene Instabilität abgeklungen ist bzw. durch reaktive Handlungen abgestellt wurde. In diesem Fall kann die strukturelle Komplexität des Montagesystems durch Rücknahme einer weiteren Maßnahme auf ein höheres Niveau befördert werden. Analog wird bei einer erneuten Stabilisierung eine weitere Migrationsstufe herbeigeführt, bis schließlich, die stabile Serienproduktion als Zielzustand der Migration erreicht wird. Die Migration des Montagesystems im Anlauf ist zu diesem Zeitpunkt beendet und der geplante Soll-Zustand des Montagesystems ist realisiert.
In ihrer Gesamtheit dienen die in der Dissertation entwickelten Teilmodelle, wie sie oben skizzierten sind, dazu, eine auf das anlaufende Produktionssystem abgestimmte Anlaufstrategie zu wählen. Ausgehend von der systemspezifischen Komplexität wird durch die diskrete Migration des Produktionssystems der Anlauf derart gestaltet, dass die jeweiligen Migrationsstufen einen beherrschbaren Grad an Komplexität aufweisen, indem die Systemkomplexität in Abhängigkeit der Systembeherrschung systematisch während des Anlaufs gesteigert wird. Die weitestgehend theoretischen Überlegungen zur entwickelten Methodik werden derzeitig in der Industrie anhand eines Fallbeispiels und in Experteninterviews validiert und auf ihre praktische Anwendbarkeit hin überprüft.
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